Praxisbericht

Wie ist AudioFokus entstanden?

Ein Werkstattbericht für Kollegen/innen mit Vorkenntnissen in Traumatherapie, Traumafokus, Brainspotting (Januar 2018)

AudioFokus ist ein völlig neuer Ansatz innerhalb der Traumatherapie-Verfahren, die ich als „fokale Therapieformen“ bezeichnen möchte. Entstanden ist es innerhalb des Traumafokus (Thomas Weber), es kann aber ebenso integriert werden beispielsweise in das Brainspotting (David Grand). Diesen Therapieverfahren ist bei allen Unterschieden gemeinsam, dass sie visuelle Foki / Blickpunkte nutzen, um einen Verarbeitungs- und Regulationsprozess von belastenden Emotionen, traumatischen Erlebnissen und biographisch geprägten dysfunktionalen Erlebensmustern in Gang zu setzen. Beim AudioFokus nutzen wir nun stattdessen auditive, räumliche Fokuspunkte; wir benutzen sie allein auditiv und auch zusätzlich zu den visuellen Foki. Wir übersetzen dabei das gesamte Repertoire des bisherigen visuellen Arbeitens auf den auditiven Kanal und entwickeln zusätzlich noch speziell auditive Interventionsformen. Statt mit Pointer oder spontanen Blickpunkten / gaze-spots arbeiten wir mit beweglichen Klangquellen/Lautsprechern, die im Raum 360° um die Patienten herum an aktivierenden Stellen platziert werden können und aus denen spezielle Tonspuren zu hören sind, die Patienten in ihrem Regulations- und Verarbeitungsprozess begleiten.

Ich gehe bei meiner Beschreibung dieses neuen Verfahrens davon aus, dass alle LeserInnen in Traumafokus und/oder Brainspotting ausgebildet sind und diese Verfahren praktizieren, daher gibt es keine „Basics“ zu deren Arbeits- und Funktionsweisen. Ich selbst bin zunächst von Thomas Weber, Damir Del Monte und David Grand in Brainspotting ausgebildet, habe mit Thomas Weber den Wechsel zum Traumafokus vollzogen und fühle mich in diesem Ansatz frei, etwas Neues mit großer Lust und Begeisterung zu entwickeln und Euch / Ihnen nun vorzustellen.

Hintergrund: Der Gedankengang, der zu AudioFokus geführt hat

Ich habe mich von Anfang an in meiner Arbeit zunächst mit Brainspotting, dann mit Traumafokus immer sehr für den auditiven Aspekt interessiert. Auch wenn im Traumafokus nicht mit „bilateralen“ Tonspuren gearbeitet wird, haben wir sicher alle Bekanntschaft gemacht mit den von einem Ohr zum anderen schwankenden Tonspuren, die beispielsweise David Grand als „bi(o)lateral“ produziert hat. Die Erfahrungen mit diesen Tonspuren sind recht heterogen. Wir haben vermutlich alle die Erfahrung gemacht, dass diese für manche Patienten sehr hilfreich sein können und sie explizit danach verlangen, dass sie für andere Patienten aber auch aversiv sein können, sie eher überstimulieren, „zu viel“ sind. Und wir wissen vermutlich alle, dass die vermeintlichen Erklärungen zu der unterstützenden Funktion dieser von einem Ohr zum anderen wandernden Klänge („eine abwechselnde Stimulation der beiden Hirnhälften, die die Verarbeitung unterstützt“) neurophysiologisch völliger Blödsinn sind. Dennoch hat mich die Frage beschäftigt, was diese Spuren bewirken, warum sie eben manchmal doch hilfreich sein können und wie wir den auditiven Aspekt gezielter einsetzen können als mit diesen „bilateralen“ Aufnahmen. Die Antwort ist für mich in der Entstehungsidee des Brainspotting zu finden:

Wie war das nochmal, als David das Brainspotting entwickelte? Er hat die fließenden links/rechts - Bewegungen des EMDR an besonders aktivierenden oder reflexhafte Reaktionen auslösenden Blickpunkten angehalten und damit Regulation sehr präzise ausgelöst, präziser als in der fließenden Stimulation des EMDR. Zugespitzt gesagt heißt das im Rückblick: beim EMDR werden eher unsystematisch die regulationsfördernden und aktivierenden Punkte sozusagen im Vorübergehen gestreift, die im Traumafokus oder BSP gezielt aufgesucht und gehalten werden.

Die bilateralen Tonspuren hat David ebenfalls aus seiner Variante des EMDR „mitgenommen“, seitdem haben wir sie sozusagen mitgeschleppt, ohne wirklich zu verstehen, warum, mit den bekannten heterogenen Auswirkungen (s.o.). Der entscheidende Aspekt: In ihren Schwankungen von einem Ohr zum anderen wirken diese Tonspuren wie Bewegungen von einer Seite zur anderen und zurück – ähnlich wie die Bewegungen der Finger entlang der Horizontale beim EMDR. Sie sind allerdings darin unvollständig, Lautstärkeschwankungen von einem Ohr zum anderen sind keine vollständigen Bewegungsinformationen, dennoch interpretiert unser Gehirn sie als quasi-Bewegungen. Damit streifen diese Tonspuren nun eventuell – so meine Ausgangsüberlegung –ebenso aktivierende und regulationsfördernde auditive Punkte, wie dies bei den visuellen Punkten in der Bewegung der Finger des Therapeuten geschieht. Was passiert, wenn wir diese auditive Bewegung ebenso genau dort anhalten, wo Aktivierung geschieht oder reflexhafte Reaktionen sichtbar sind? Können wir denselben Schritt mit auditiven Stimuli vollziehen, wie dies David damals mit den visuellen Stimuli getan hat?

Aus diesem Gedankengang haben sich dann verschiedene Fragen entwickelt, die sozusagen die Leitfragen bei der weiteren Entwicklung des AudioFokus – Projektes wurden; ich möchte Euch AudioFokus entlang dieser Fragen bzw. der mittlerweile reichlich vorhandenen Antworten bzw. Ergebnisse des Projekts darstellen:

Im Einzelnen:

a) Lassen sich für (den felt sense von) Belastungen oder Ressourcen ebenso auditive Foki finden wie wir das von visuellen Foki bereits kennen (als Augenfokus oder Brainspot)?

Definitiv: Ja.

Die auditiven Fokuspunkte / spots sind genauso zuverlässig da, 360 ° um die Patienten herum, wir haben bisher nur noch nie nach ihnen gesucht. Das Vorgehen beim Finden der AudioFoki ist dasselbe wie bei den visuellen Fokuspunkten: Die Patientin/der Patient hält mit einem Teil der Aufmerksamkeit Kontakt zu einem (problem- oder ressourcebezogenen) Körpergefühl, das zuvor aktiviert wurde und folgt zugleich dem sich bewegenden AudioFokus: einem langsam um sie/ihn herum im Kreis oder Halbkreis wandernden, zuvor von den Patienten selbst gewählten Klang; die Patienten achten dabei auf die Variationen und Schwankungen des felt sense. Wenn z.B. der am stärksten aktivierende Fokus auf der Horizontalen gefunden wurde, werden Vertikale, Entfernung und Lautstärke variiert und dabei der endgültige Audiofokus gefunden - es muss im Übrigen nicht immer der Punkt der stärksten Aktivierung sein, oft arbeite ich mit dem Punkt, der dem Patienten am „passendsten“ für den Prozess erscheint. Patienten spüren dann nach, wo der Klang ihnen am stimmigsten erscheint, nicht unbedingt, wo er die stärkste Aktivierung auslöst. Patienten können die AudioFoki in der Regel mühelos, ohne zu zögern und auf den Millimeter genau bestimmen. Ich habe oft von Patienten gehört, das falle ihnen beim AudioFokus wesentlich leichter als bei den visuellen Foki, etwa bei der Suche mit dem Pointer.

Stark aktivierende AudioFoki sind für die Therapeuten ebenso an reflexhaften Reaktionen der Patienten erkennbar, wie das bei visuellen Foki der Fall ist („Augenreflexe“ oder „äußeres Fenster“) – natürlich nur eingeschränkt, wenn er/sie hinter dem Patienten nach den Foki in diesem Bereich sucht

b) Welche Prozesse entstehen beim Halten eines solchen auditiven Fokus? Sind sie vergleichbar mit denen bei einem visuellen Fokus?

Wiederum: Ja.

Die Frage soll nicht implizieren, dass es primär das Halten eines Fokus ist, der eine Regulations- und Verarbeitungsprozess auslöst, wir alle wissen, dass das nur ein Faktor unter vielen ist. Dennoch: die beim AudioFokus ausgelösten Prozesse nehmen einen ähnlichen Verlauf und erzeugen eine ähnlich nachhaltige Veränderung, wie dies bei den visuellen Foki geschieht. Viele Patienten jedoch, die beides – auditive und visuelle Foki – kennen gelernt haben, berichten, dass sie die Arbeit mit AudioFokus tiefer berührt, sie zugleich „weicher“ und „direkter“ sei; eine Patientin schilderte es wie eine Wirkung „komplett an meinem Cortex vorbei, direkt ins Herz“.

Wie unten geschildert wird, besteht eine zusätzliche Variationsmöglichkeit (neben x,y,z – Achse) beim AudioFokus in der Auswahl der Klänge selbst, die dem Prozess noch eine eigene Färbung geben können. Dies wird von Patienten als sehr wertvoll erlebt wird. Manchmal nehmen Patienten diese Klänge mit in den Alltag und stabilisieren damit möglicherweise den Prozess noch weiter. Was mich (als sehr auditiven Menschen) sehr berührt hat ist, dass die Patienten, die ihre Therapie bei mir bereits „visuell“ begonnen hatten nach den ersten gemeinsamen Experimenten mit AudioFokus nie wieder ohne auditive Foki arbeiten wollten und zum Teil aktiv an der Entwicklung neuer AudioFokus-Klangspuren mitwirkten.

c) Wie machen wir es technisch möglichst einfach, mit auditiven Foki zu arbeiten?

Man braucht nicht allzu viel Technik: einen Bluetooth-fähigen mp3-player (auch Smartphone möglich), einen kleinen Bluetooth-Lautsprecher (möglichst mit Aufhängung) und ein höhenverstellbares Stativ, um den Lautsprecher daran zu fixieren, wenn der AudioFokus gefunden ist. Den größten technischen Aufwand erfordern die AudioFokus-geeigneten Tonspuren (s.u.), die ich jedoch in größerer Zahl erzeugt habe und z.B. im Rahmen von Ausbildungsseminaren zur Verfügung stelle.

Wenn wir mit dem ganzen 360°-Kreis um den Patienten arbeiten wollen, brauchen wir natürlich eine Raumanordnung, in der wir langsam den gesamten Kreis um den Patienten herum „absuchen“ können, sprich: es sollte ein Fel d ca. 1.50 – 2.00 Meter um den Patientenstuhl herum frei sein. Das ist aber nicht zwingend, auch mit 180° - sprich: einem Halbkreis von einem Ohr zum anderen – lässt sich sehr gut arbeiten. Ein kleineres Feld (etwa mit dem Patientenstuhl in einer Raumecke) ist nicht zu empfehlen.

d) Welche Anforderungen gibt es an die verwendeten auditiven Stimuli?

Für mich ist zuallererst die Vorgabe: Keine Musik! Das hat persönliche Gründe: mir selbst ist es unmöglich, Musik, und sei sie auch noch so banal, nicht konzentriert zu verfolgen und oft zu analysieren (und da viele meiner Patienten Musiker sind, geht es ihnen ähnlich). Diese Aktivität ist aber viel zu kognitiv und interferiert mit dem emotionalen intendierten Prozess. Aus diesem Grunde habe ich auch früher nie die Tonspuren von David Grand verwendet, sondern mir und meinen Patienten von Anfang an eigene „bilaterale“ Tracks mit Naturgeräuschen erstellt.

Ich habe für das AudioFokus eine Vielzahl unterschiedlicher Tonspuren erstellt und z.T. selber aufgenommen: zum einen Naturgeräusche (Wellen, Bäche, Regen, Wind, Vögel, Gewitter), zum anderen „künstliche“ Geräusche (Klangschalen, Klangsäulen, klingende Steine).

Die Patienten suchen sich nun den für ihre Thematik, ihre Emotion „passenden“ Klang heraus, das gelingt mühelos und hilft offenbar sehr bei der Regulation, auch Wünsche nach einem Wechsel des Klangs im Prozess sind eine gute Gelegenheit für uns Therapeuten, „im Schweif des Kometen“ zu bleiben.

Natürlich ist es technisch aufwändig, die Tonspuren herzustellen; Teilnehmende der Seminare zum AudioFokus erhalten sie jedoch vorab, inklusive einer Anleitung zum Installieren (s.u., Kasten).

e) Gibt es Besonderheiten des auditiven Arbeitens, die uns noch weitere Interventionsmöglichkeiten eröffnen?

Diese Frage ist für uns sehr spannend und Gegenstand häufiger Diskussionen. Der auffälligste Unterschied zum Arbeiten mit den visuellen Foki ist eben schon genannt worden: auditive Stimuli sind nicht neutral, der jeweilige Klang hat immer eine eigene Wirkung zusätzlich zum AudioFokus. Die bisherigen Erfahrungen zeigen allerdings ganz klar: die Hauptwirkung geht vom AudioFokus aus, der Klang moderiert die Wirkung nur. Die subjektive Bedeutung des Klangs variiert dabei je nach Thema und AudioFokus. Ein Patient erlebte die Töne einer im Rhythmus von 10 sec. angeschlagenen Klangschale beispielsweise einmal (bei der Bearbeitung von Gewalterfahrungen im Elternhaus) als „brutale Schläge auf den Kehlkopf“ und einmal (als Ressourcefokus in Beziehungserfahrungen und an einem ganz anderen AudioFokus) als „Streicheln mit Pausen zum Nachspüren auf der Haut“. Es gibt also keine Bedeutung des Klangs per se, Patienten erleben ihn je nach Prozess unterschiedlich.

Indem Patienten den Klang für ihren Prozess auswählen, moderieren sie nach meiner Wahrnehmung sehr klug die Intensität und Färbung des Prozesses. Wenn sie beispielsweise wissen, dass ein problemaktivierender Fokus für ein sehr belastendes Thema gesucht wird, steuern sie sich mit der Klangwahl oft gut in ihr „window of tolerance“ hinein, verhindern damit „Überschwemmt-werden“, schaffen sich zusätzliche Sicherheit im Prozess. Die Klänge wirken zudem oft über die Sitzung hinaus nach - viele Patienten nehmen sich die Tonspuren sogar mit nach Hause, hören sie weiter, führen dabei oft begonnene Prozesse noch weiter oder zu Ende, regulieren sich damit oder freuen sich einfach an einer neu gefundenen klanggebundenen Ressource ihrer selbst. Patienten wählen aber auch oft bewusst unangenehme, zum felt sense des Themas passende Klangspuren, um ein Problem noch zusätzlich zu aktivieren, wenn es ihnen eher schwer im felt sense zugänglich erscheint, steuern sich also ebenso in das nutzbare window of tolerance.

Hier eröffnet sich noch ein ganz neues Feld der Arbeit mit Klängen, die wir Triggerklänge nennen:

Für manche traumatischen Erfahrungen erstellen wir spezielle Tonspuren, die aus dem Traumageschehen selbst stammen könnten. Für mehrere Patienten mit medizinischen Traumen haben wir beispielsweise Klangspuren aus der Intensivstation (Pulsmesser, Beatmungsgerät, andere Monitore) entwickelt und im Prozess genutzt. Dies ist sehr wirkungsvoll, wenn das Trauma selbst bewusst nicht zugänglich ist - beispielsweise in der Arbeit mit einem 10-jährigen Jungen, der als Frühchen traumatische Erlebnisse in einer Frühchen-Intensivstation hatte, diese aber natürlich vorsprachlich gespeichert waren; die Arbeit mit Triggerklängen ist dann sehr effektiv. Auch hier gilt: die Hauptwirkung geht dennoch vom AudioFokus aus, der Klang moderiert offenbar nur oder steuert in das „window of tolerance“. Die Entwicklung von Triggerklängen ist noch am Anfang, aber sehr hoffnungsvoll.

f) Was gewinnen wir durch AudioFokus?

Neben diesen allgemeinen Entdeckungen im AudioFokus sind mittlerweile differenzierte Interventionsformen und Setups entstanden, deren Darstellung aber den Rahmen dieses ersten Berichtes überschreitet. Über Ausbildungsmöglichkeiten zum AudioFokus können Sie sich unter dem Punkt „Seminare“ informieren.
Zum Schluss:

AudioFokus entwickle ich weiter in enger Zusammenarbeit mit meiner Frau Lisa Schwinn, die Anwendungen mit Kindern und Jugendlichen erforscht, sowie mit Thomas Weber in intensivem Austausch; darüber hinaus erprobt ein kleines Netzwerk von Kolleginnen in Österreich und Deutschland AudioFokus in ihren Praxen.

Die Möglichkeit, AudioFokus zu entwickeln ist für mich persönlich das Aufregendste, was ich in 30 Jahren Niederlassung als Psychotherapeut erlebt habe; inzwischen ist es zu einem festen Bestandteil unseres täglichen Arbeitens geworden, es vergeht kaum eine Therapiestunde ohne AudioFokus-Elemente. Ich hoffe sehr, etwas Neugier auf mehr geweckt zu haben.

Ich freue mich auf Austausch und Nachfragen

Axel Mecke, Heidelberg, im Januar 2018